Claus Hammel, 28. 9. 1987, East Germany

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Location East Germany
Date 28. 9. 1987
Length 08:36

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Der Kern ist - wie eigne ich mir die Geschichte meines Volks, meines Landes an. Wie sieht es im Keller meiner Gegenwart aus. Ich gehe von einer Arbeitshypothese aus, die heißt „Man hat Geschichte ganz oder man hat gar keine Geschichte“. Diese Beschäftigung mit Preußen war nicht überfällig, eine Beschäftigung mit Preußen hat es immer gegeben. Aber bevorzugt waren Tendenzen in der preußischen Geschichte, die vor allem die Leistungen der Reformer in den Vordergrund brachten nach dem Sieg über Napoleon. Ein dunkles und widerspruchsvolles Kapitel war immer das Kapitel Friedrich der II. Dieses Kapitel ist deshalb so kompliziert gewesen, als wir nach dem Sieg der Alliierten über den Faschismus die Symbole zerstörten, die in der deutschen Geschichte repräsentativ waren für Militarismus.

Es ist natürlich kein Stück über die Preußen, sondern es ist ein Stück über unser Land und wie es sich zu seiner Geschichte verhält. Ich bin ein Gegner aller Versuche, Geschichte als ein Reservoir zu sehen, das nur Nutzen hat, weil man dort Vorbilder findet. Weil Friedrich II. nicht taugt zu einem Vorbild, ist er es dennoch wert, dass man sich mit ihm beschäftigt. Aber man wird ihn nun – das sagt das Stück auch – natürlich nicht verehren als einen Vorläufer unserer heutigen Geschichte, als einen verbindlichen Vorläufer – es gibt da heute weder Vergleiche – die wird es nirgends geben – die Geschichte ist über 200 Jahre zurück. Aber da ist etwas, was wir (nicht) uns selbst zuliebe nicht verschweigen dürfen – ich komme nochmal auf die Hypothese zurück „Man hat Geschichte ganz oder man hat gar keine“. Das Entscheidende ist, dass wir einen historischen, dass wir eine historische Größe in ihren ganzen Widersprüchen nehmen. Dass man auch Friedrich II. nicht halbieren kann in eine gute und eine schlechte Seite – und die schlechte Seite vergessen wir und die guten Seiten heben wir hervor. Das, glaube ich, wäre auch, wenn unsere Zeit einmal betrachtet wird, ein völlig unzulässiges Verfahren. In dem Stück ist von unseren Zeitgenossen die Rede – wie verhalten wir uns zu Luther, wie verhalten wir uns zu Friedrich II. Wozu ist Friedrich II. nütze. Er ist zu nichts nütze, außer dass er in unserem Bewusstsein vorhanden ist als ein sehr wichtiger und vor der Welt sehr eindrucksvoller Vorfahre. Wie man mit ihm umzugehen hat, glaube ich, das lehrt die Zeit. Wir haben jetzt nach langer Abstinenz im Stadtbild von Berlin wieder das berühmte Reiterdenkmal Friedrichs II. von Rauch. Das ist kein Gegenstand der Verehrung, es werden dort nicht Blumengebinde niedergelegt, es wird kein Weihrauch entzündet – das ist etwas – das gehört zur Stadt, wie es zu unserer Geschichte gehört und wird ein Denkmal, das an ihn denken lässt, unter vielen sein.

Ich glaube, da muss man die Partei fragen, aber man kann mich fragen, weil ich Mitglied der Partei bin. Dieses Stück gehört zu unserer Selbstverständigung über unser Leben und unsere Geschichte. Es gehört zu den Qualitäten der Partei, wie ich sie auffasse und wie sie eigentlich auch im Programm festgelegt ist, diese Selbstverständigung auf immer neuen Stufen immer neu auch zu erarbeiten. Dieses Stück ist nur ein Teil dieser Selbstverständigung und ich muss dazu sagen, dass es ein Teil ist, der sehr wichtig ist. Die Partei beginnt nicht mit dem Tag ihrer Gründung, die Partei beginnt mit ihrer Arbeit nicht im Mai 1945, auch sie selbst hat ihre Geschichte. Und sie selber hat ihre Hochs und Tiefs gehabt. Und es ist jetzt der Zeitpunkt herangekommen, wo man nach der Erledigung wichtiger Alltagsarbeiten sich auch einmal in der Landschaft im buchstäblichen Sinne und im ideellen Sinne umsehen muss. Man wird auf diese Weise - wie ich es beschreibe - auf keinen Fall Friedrich II. nachträglich zu einem Parteimitglied machen, wie die Gefahr schon bei Luther war – im Stück wird das angedeutet – Luther als einer der Unseren – ein großer Revolutionär – er mag ja einer gewesen sein – aber doch auf der Stufe des ihm Möglichen. „Revolutionär“ ist auch eine Vokabel, die täglich neu einen neuen Inhalt bekommt. Dass dieses Stück hier im Zentrum Berlins aufgeführt wird, ist natürlich einer meiner sehnlichsten Wünsche gewesen. Zu Füßen des Denkmals von Friedrich II., vor der Tür des Zentralkomitees, vor der Tür des Staatsrats – da gehört es hin, glaube ich. Und es war – wenn auch mit Verspätung – denn hier läuft es erst seit zwei Jahren – im Lande läuft es bereits seit 1981 – da ist es dringend notwendig, dass man das Stück spielt. Und zwar aus einem wichtigen Grunde – auch für unser Leben und nicht nur das Leben der Partei meine ich da mit 'wichtigen Grunde' – um ein Selbstbewusstsein zu bekommen. Ich glaube, das ist eine Zusatzantwort auf ihre erste Frage. Das Stück dient der Herstellung, der Ermutigung historischen Selbstbewusstseins.

Ich glaube nicht, dass das eine Aussöhnung mit den Preußen ist, sondern es ist eine Kenntnisnahme von den Preußen, analysiert und kritisiert, wie jetzt daran gearbeitet wird, ein paar positive Seiten zu finden. Das Ganze ist – glaub ich – nichts weiter als ein Akt historischer Gerechtigkeit, den man auch den Preußen will angedeihen lassen.

Claus Hammel (1932–1990)

Claus Hammel

Claus Hammel wurde am 4. Dezember 1932 in Parchim geboren; er starb am 12. April 1990 in Ahrenshoop. Hammel war ein deutscher Dramatiker.

Claus Hammel war der Sohn eines Sattlermeisters. Die Familie lebte bis 1934 in Parchim und zog dann nach Demmin, wo Claus Hammel seine Kindheit und Jugend größtenteils verbrachte.

Von 1949 an studierte er Gesang in West-Berlin, brach sein Studium jedoch 1950 ab. Im selben Jahr begann er in Ost-Berlin für die FDJ kulturpolitisch zu arbeiten. 1955 wurde er Theaterkritiker des Neuen Deutschland, seit 1972 war Hammel in der künstlerischen Leitung am Volkstheater Rostock tätig.

1958 debütierte Hammel als Dramatiker mit „Hier ist ein Neger zu lynchen“, einer Neufassung des Schauspiels „Straßenecke“ von Hans Henny Jahnn. Viele seiner Adaptionen weisen deutliche Unterschiede zu den Originalen auf, um dem damaligen Zeitgeist und der Ideologie der DDR besser zu entsprechen.

Im Jahr 1978 ehrte Hammel den Begründer der Tscheka, Feliks Dzierżyński, in Form der Urlesung seines Werks „Überlegungen zu Feliks D.“