Manfred Stolpe, 28. 9. 1987, Berlin, East Germany

Metadata

Location Berlin, East Germany
Date 28. 9. 1987
Length 04:46

Watch and Listen

Full video (mp4, 4 min)
Preview video (mp4, 1 min)
Audio track (mp3, 9 min) Show player
×
0:00
0:00

TranscriptPlease note that this transcript is based on audio tracks and doesn't have to match exactly the video

Wie war die Haltung der kommunistischen Partei gegenüber der Kirche, als die Partei nach Kriegsende an die Macht kam?
(Deutsche Übersetzung) Wie hat sich die sozialistische Partei der Kirche gegenübergestellt als die Partei zur Macht kam am Kriegsende?

Wir haben zunächst eine Phase gehabt nach Ende des Krieges, die bestimmt war durch die Bemühungen der Sowjetunion, eine Öffnung nach dem Westen im Blick auf die Möglichkeit eines Gesamtdeutschlands zu haben. In der Phase, in der hat es eine deutliche Förderung der Kirchen gegeben. Wenige Jahre danach, ab 1952 als deutlich war, dass es zwei deutsche Staaten geben wird, hat die kommunistische Partei hier in unserem Lande, die SED, den Aufbau des Sozialismus vorgesehen und diesen Aufbau des Sozialismus auch verstanden als einen Entwicklungsprozess für eine Weltanschauung des Kommunismus. Da war dann eigentlich auf Perspektive kein Platz für die Kirche.

Warum hat die SED in den letzten Jahren eine weniger kirchenfeindliche, offenbar weniger kirchenfeindliche Politik entwickelt?
(Deutsche Übersetzung) Warum, glauben Sie, hat in letzter Zeit die SED eine weniger feindliche Einstellung zur Kirche gefasst?

Ich bin davon überzeugt, dass die SED begreifen musste, dass es keine Alternative gibt zu der Notwendigkeit des Miteinanderlebens. Die Hoffnung, dass die Religion ausstirbt und dass die Kirche ihren ganzen Anhang verliert und überflüssig wird, ist nicht aufgegangen. Die Kirche ist geblieben. Die Kirche hat Zulauf weiterhin und die ist eine Realität und die Kommunisten müssen sich einstellen auf die Realität von Christen und Kirche in diesem Lande und deshalb ist eine pragmatische Politik zustande gekommen.

Gibt es vielleicht zwei Probleme, wenn junge Leute der Kirche beitreten, um ihre eigenen Interessen wie Ökologie und Frieden zu verfolgen? Erstens könnte dies die Kirche radikaler machen und sie in Konflikt mit dem Staat bringen. Und zweitens, dass sie keine Christen sind.
(Deutsche Übersetzung) Gibt es mit jungen Leuten vielleicht zweierlei Probleme – junge Leute, die die Kirche als Forum für ihre eigenen Interessen in der Umwelt, mit Friede und so weiter, dass sie die Kirche dafür als Forum benützen. Und zweitens, dass vielleicht diese jungen Leute nicht Christen sind.

Es ist zunächst einmal dankbar zu sagen, dass die Kirche interessant ist für die Menschen hier in diesem Lande und dass auch zu unserer Überraschung viele junge Menschen zu uns kommen und auch viele Menschen, die nicht aus christlichen Familien kommen, also atheistische Jugendliche und wir stehen als Kirche vor der Aufgabe, dass wir ja nicht nur uns beschäftigen mit denen, die immer schon zu uns gehören, sondern dass wir eine missionarische Kirche sein wollen, die offen ist für alle. Auch für die Kommunisten, wenn sie wollen, sind alle herzlich willkommen und unser Problem ist jetzt – sie kommen zu uns mit ihren Ideen, die nicht alle christlichen Ideen sind und sprechen das in der Kirche aus. Die Kirche aber muss darauf achten, dass in ihrem Bereich zur Sprache kommt, was das Evangelium betrifft, was Jesus Christus den Menschen hier, auch gerade hier, sagen will – und so stehen wir in der Tat in einer gewissen Spannung, dass wir offen sind, dass alle kommen können, wir niemanden rauslassen, auch kein Berufsverbot aussprechen, wenn Leute woanders nicht mehr auftreten können – zu uns können sie kommen, aber – wir müssen darauf achten, dass das doch Kirche bleibt, das heißt, dass diese Dinge, die vom Neuen Testament her wichtig sind, auch zur Sprache kommen. Und das lernen wir miteinander, das gibt immer auch Probleme, auch zwischen der Leitung – die achtet immer mehr darauf, dass die Bibel zur Sprache kommt und die jungen Pfarrer und jungen Gemeindeglieder die sagen...

Ja es gibt in der Tat Unterschiede in den Auffassungen, wie man sich als Kirche im Staat verhalten soll. Dabei gibt es weniger Unterschiede über die anstehenden Fragen - sowohl die Leitungen als auch die Gemeinden und auch die Jugendgruppen sind zum Beispiel der Auffassung, dass Fragen des Wehrdienstes wichtig sind, sind der Auffassung, dass Fragen der Gerechtigkeit im Lande wichtig sind, z.B. auch in der Reisefrage. Der Unterschied besteht nicht bei den Fragen, sondern bei den Methoden - die jungen Leute sind ungeduldig und sagen das muss jetzt alles hart ausgesprochen werden und der Staat muss unter Druck gesetzt werden und wir von der Leitung sagen eigentlich mehr wir müssen als Kirche so reden, dass der Staat auch versteht, was wir wollen, denn wir müssen ihm auch ein bisschen helfen, sich zu verändern. Wir sehen, dass eine gute Entwicklung im Lauf der letzten zehn Jahre seitdem der KSZE-Prozess, der Helsinki-Prozess läuft, in Gang ist. Aber wir merken auch, dass es behutsam sein muss, wir sehen auch zum Beispiel an der Entwicklung in anderen sozialistischen Ländern oder auch bei uns 1953, am 17. Juni, dass hastige Vorgänge Rückschläge bedeuten. Und wir wollen, dass es kontinuierlich weitergeht und müssen mit unseren jungen Leuten diskutieren und müssen ein wenig um Geduld bitten und Ungeduld, wo sie nicht helfen wird, dann auch zurückweisen. Insgesamt hoffe ich, dass die gute Entwicklung weitergehen wird.

Hängt Ihre eigenständigere Stellung in der DDR in hohem Maße von Ihren Verbindungen zur Kirche in Westdeutschland ab?
(Deutsche Übersetzung) Hängt Ihre unabhängige Situation in der DDR davon ab, dass Sie Verbindungen mit der Kirche in der Bundesrepublik haben?

Unsere Position als Kirchen hier in diesem Lande, die vergleichsweise mit anderen sozialistischen Ländern relativ eigenständig ist, hängt, glaube ich einerseits mit den besonderen historischen Entwicklungen nach dem Krieg hier zusammen, mit der relativen Größe, die unsere Kirche hatte, also ihre Stärke in der Bevölkerung und dann aber mit ihrer ökumenischen Arbeit, die sie auch in der Tradition mit anderen Kirchen hatte, zum Beispiel mit den Kirchen in Großbritannien und es hat hier Phasen gegeben in unserem politischen Verhältnis, wo für uns der Besuch des Erzbischofs von Canterbury eigentlich viel wichtiger war als die Kontakte als die Kontakte zu den westdeutschen Kirchen. Die sind für uns auch wichtig, die spielen zur Zeit eine ganz gute Rolle wieder, aber ich möchte betonen, es ist zu Westdeutschland, es ist zu Großbritannien, zu Schweden - auch dort traditionell gute Verbindung - und diese, dieses Eingebundensein in der Ökumene, das ist für uns in der Tat eine große Hilfe gewesen.

Mit welchen gesellschaftlichen Problemen beschäftigt sich die Kirche, mit denen der Staat nicht fertig wird?
(Deutsche Übersetzung) Was für soziale Einrichtungen bietet die Kirche an, die der Staat nicht anbietet?

Wir haben traditionsgemäß als evangelische Kirchen hier, aber das gilt auch für die katholische Kirche, eine starke soziale Arbeit. Wir sind in einigen Bereichen des Gesundheits- und Sozialwesens führend für die gesamte Gesellschaft, zum Beispiel für die Betreuung behinderter Menschen, vor allem für die Betreuung mehrfach Behinderter, also blind und taub, das ist eine Aufgabe, wo sie, nur die Kirche einigermaßen helfen kann, aber auch für geistig Behinderte, für Krüppel, dann haben wir große Einrichtungen und es ist eigentlich ein offenes Geheimnis, dass die Gesellschaft diese Aufgaben ohne die Unterstützung der Kirchen nicht bewältigen könnte.

Manfred Stolpe (1936–2019)

Manfred Stolpe

Manfred Stolpe wurde am 16. Mai 1936 in Stettin geboren; er starb am 29. Dezember 2019 in Potsdam. Stolpe war ein deutscher Kirchenjurist und Politiker (SPD). Er war von 1990 bis 2002 der Ministerpräsident des Landes Brandenburg und von 2002 bis 2005 Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.

Die Familie siedelte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von Stettin nach Greifswald über und blieb dort auch nach der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik. Nach dem Abitur absolvierte Stolpe ein Jura-Studium in Jena, das er 1959 abschloss. Unmittelbar danach leistete er sein Rechtsreferendariaht bei der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg ab, was die Weichenstellung für seine nachfolgende berufliche Karriere in der Kirche darstellte, die bis 1990 andauern sollte. Als Leiter der Geschäftsstelle der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitung war er 1969 maßgeblich an der Gründung des Evangelischen Kirchenbundes in der DDR beteiligt. Als evangelischer Kirchenfunktionär bemühte sich Stolpe um ein gutes, aber auch kritisches Verhältnis zur SED-Führung um Erich Honecker. Unter weitgehender Identifizierung mit dem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem der DDR vertrat er das Konzept einer „Kirche im Sozialismus“, die sich für eine am Menschen orientierte Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung stark machen sollte.

Stolpe trug gegen Ende der 1980er Jahre auch entscheidend dazu bei, dass sich die Evangelische Kirche zunehmend zu einem Refugium der verfolgten Bürgerrechts- und Friedensbewegung der DDR entwickelte.

Nachdem er im Juni 1990 der SPD beigetreten war, wurde Stolpe infolge des Wahlsiegs der Partei im Herbst am 1. November 1990 zum ersten demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Brandenburgs erhoben. Die nachfolgende Legislatur wurde überschattet durch langwierige Untersuchungen und öffentliche Spekulationen über eine mögliche Verstrickung des ehemaligen DDR-Kirchenfunktionärs mit der Stasi, die jedoch seiner bis heute ungebrochene Popularität als Anwalt ostdeutscher Interessen im Lande Brandenburg nichts anhaben konnten.

Im Jahr 1996 erhob die SPD den brandenburgischen Ministerpräsidenten zum Vorsitzenden des SPD-Forums Ostdeutschland. Trotz gestiegener Arbeitslosigkeit und der höchsten durchschnittlichen Pro-Kopf-Verschuldung der neuen Bundesländer konnte sich Stolpe als Ministerpräsident von Brandenburg bis Herbst 2002 behaupten. In dieser Funktion und in führenden Ämtern der SPD hat sich Stolpe vor allem als unbestechlicher Sachwalter der neuen Bundesländer einen Namen gemacht.

Nach der Bundestagswahl 2002 wurde er am 22. Oktober 2002 als Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen in die von Bundeskanzler Gerhard Schröder geführte Bundesregierung berufen.