Rainer Eppelmann, 27. 9. 1987, Berlin, East Germany

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Location Berlin, East Germany
Date 27. 9. 1987
Length 12:50

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Die ostdeutsche evangelische Kirche hat eine Verständigung mit dem Staat, aber sie hat auch eine innerdeutsche Dimension. Welche Bedeutung hat diese innerdeutsche Dimension der evangelischen Kirche hier?
(Deutsche Übersetzung) Die evangelische Kirche in der DDR hat ein Einverständnis mit dem Staat hier in der DDR, aber auch, gibt es eine Dimension zwischen den beiden deutschen evangelischen Kirchen hier in der DDR und dort im Westen.
… Wie verbinden sich beide und wie wichtig ist das?
(Deutsche Übersetzung) Wie sehen Sie die Bedeutung von der … wie kann man diese beiden Aspekte zusammenbringen und wie wichtig ist der innerdeutsche Aspekt dieser Frage?

Wenn ich das richtig sehe, sind das zwei Seiten, die mit unserer Existenz etwas zu tun haben. Zwei möglicherweise unterschiedliche Dimensionen. Das, was die Beziehung zu den evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik angeht, das ist eine historisch-kulturelle Dimension, das hat was mit gemeinsamer Geschichte zu tun, mit einer gemeinsamen Entstehungsgeschichte, mit gemeinsamen Inhalten, mit gemeinsamen Traditionen und hat besonders auch nach dem Mauerbau am 13. August 1961 eine kommunikative Dimension bekommen. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass nach diesem Mauerbau jeder Kirchgemeinde, evangelischen Kirchgemeinde in der DDR eine sogenannte Patenkirchengemeinde in der Bundesrepublik zugeordnet worden ist. Da gibt es bis heute Kontakte, das heißt, da gibt's Kontakte zwischen Gemeinden in der Bundesrepublik und in der DDR, die seit über 25 Jahren bestehen. Auf dem, sicher auf diesem kultur-historischen und religiösen Hintergrund. Von daher wird immer – und ich meine mit Berechtigung – von einer besonderen Verbindung zwischen den evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik und in der DDR gesprochen. Zum zweiten, und das korrespondiert mit dem ein bisschen, hat die evangelische Kirche in der DDR besonders unter dem Vordenken von Bischof Schönherr, wenn ich das richtig sehe, es geschafft, ein ‚Ja‘ zu der grundsätzlichen Vorfindlichkeit in dem Land DDR zu sagen, in dem wir leben. Das heißt, wenn ich das richtig sehe, in den ersten Jahren der Existenz unseres Landes hat auch evangelische Kirche in der DDR in einer gewissen Vorläufigkeit hier gelebt. Inzwischen ist ganz bewusst ein ‚Ja‘ zu der Gesellschaft gesagt worden, man hat die Chancen, aber auch die Schwierigkeiten und Probleme dieser Gesellschaft erkannt, und evangelische Kirche versteht sich seit diesem Spitzengespräch zwischen Honecker und Schönherr in einem ganz anderen Maße, als das vorher gewesen ist, als auch Gestalter der Gesellschaft, in der wir uns befinden. Das heißt, ich glaube, wenn man die gesellschaftspolitische Rolle oder auch die Stimme, mit der evangelische Kirche in der DDR sich zu gesellschaftspolitischen Fragen in der DDR geäußert hat, dann ist diese Stimme ganz bestimmt nach diesem Gespräch vom März 1987 gewachsen. Die gesellschaftspolitische Bedeutung der DDR ist, der Kirchen der DDR ist dadurch auch in ganz besonderem Maße gewachsen und es ist ganz gewiss kein Zufall, dass sich in den letzten Monaten in der katholischen Kirche eine ähnliche Entwicklung nachzuzeichnen anbahnt.

Kann man sagen, dass die evangelische Kirche in gewisser Weise gegen die ideologische Teilung Deutschlands arbeitet, gegen die, ist ein Element der Tätigkeiten gegen die ideologische ‚Abgrenzung‘, wie sie genannt wird, denke ich?
(Deutsche Übersetzung) Kann man sagen, dass die Evangelische Kirche gegen die Spaltung von den beiden Kirchen wirkt?
(Deutsch) … ist ein Element, das arbeitet gegen die ideologische Abgrenzung in Europa und in Deutschland, den beiden Deutschlands?

Ich glaub, der erste Satz, der gesagt werden muss, ist der: evangelische Kirche in der DDR akzeptiert, dass sie, und das hat ja nur etwas mit Einsicht in Notwendigkeit und tatsächlicher Wirklichkeit zu tun, akzeptiert, dass sie in einer sozialistischen Gesellschaft existiert und sich ausbreiten kann und leben kann, arbeiten kann. Zum anderen, da Menschen in diesem Land DDR oder Menschen auch in beiden deutschen Staaten unter ideologischer Abgrenzung, aber auch unter tatsächlicher Trennung leiden – es gibt ja zwischen beiden deutschen Staaten eine Grenze, die auch heute höchstens von einem Zehntel der DDR-Bevölkerung überschritten werden kann, in sogenannten ‚dringenden Familienangelegenheiten‘, muss sich natürlich Evangelische Kirche schon von ihrem Auftrag her gegen solche Abgrenzung wenden. Sie tut dies auch, allerdings aus der Einsicht heraus, dass es zu Verbesserungen nur in Übereinstimmung mit den Regierenden kommen kann. Es wird nicht gelingen, zu Verbesserung für die Menschen zu kommen, gegen oder neben den Regierenden der Deutschen Demokratischen Republik.

Die Kirche im Spannungsfeld zwischen Staat und Gesellschaft ist ein gemeinsames Merkmal der Situation in Mitteleuropa. Wie würden Sie die Unterschiede zwischen der Situation der Kirche hier und im benachbarten Polen beschreiben?

Wenn ich das richtig sehe, gibt es eine ganze Reihe von Unterschieden … Einmal gibt es neben der katholischen Kirche in Polen keine christliche Kirche in einem osteuropäischen Land oder einem Land, das zum Warschauer Vertrag gehört, die eine solche weite Verbreitung, das heißt, darum auch eine solche gesellschaftliche Kraft darstellen wie die Evangelische Kirche in der DDR. Der Unterschied zwischen evangelischer Kirche in der DDR und der katholischen Kirche in Polen wird einmal der sein, dass die Kraft der evangelischen Kirche in der DDR ganz gewiss nicht so groß ist wie die der katholischen Kirche in Polen. Der Prozentsatz der Polen, die zur katholischen Kirche gehören, ist erheblich größer als der Menschen in der DDR, die zur evangelischen Kirche gehören. Nach neuesten Grobschätzungen gehören etwa ein Drittel der DDR-Bevölkerung noch zur evangelischen Kirche. Dieser Prozentsatz dürfte in Polen, was die katholische Kirche angeht, deutlich größer sein. (…)

Die Identifikation mit Nationalsein… die nationale Frage?

Ja, die spielt's, glaub ich, in der evangelischen Kirche der DDR keinesfalls …

Können Sie etwas darüber sagen, dieses…

Spielt keinesfalls eine solche Rolle, wie in der katholischen Kirche Polens. Das hängt mit der Geschichte der Kirche zusammen. Wenn ich das richtig sehe, gibt es den polnischen Nationalismus, vielleicht sogar die polnische Nation, nur deswegen, weil es eben über die Jahrhunderte eine starke polnische katholische Kirche gegeben hat. Das heißt, wenn ich das richtig sehe, katholische Kirche in Polen hat ein ganz starkes einigendes Band für die polnische Bevölkerung gehabt. So seh' ich das in Deutschland nicht, es hat hier handfeste Auseinandersetzungen gegeben, zwischen etwa evangelischer und katholischer christlicher Kirche. Dann gibt es noch Unterschiede zwischen evangelisch-lutherisch oder evangelisch-reformierten Christen in Deutschland, das heißt, es hat über viele, viele Jahre Kriege und über Jahrhunderte sogar religiöse Auseinandersetzungen gegeben. Also, wenn ich das richtig sehe, evangelische Kirche in der DDR ist kein tragendes nationales Element für die Deutschen gewesen. Was sie immer wieder versucht hat zu sein, oft leider auch sehr leidvoll; sie hat ’ne Gesellschaft mitgestaltet, mitgeformt. Viele Jahrhunderte in ’ner Vereinigung mit Thron und Altar, also dieser ja so berüchtigten Vereinigungen, die ja ihre unseligen Folgen, nachher im Grunde noch unter Hitler geführt hat, dass die evangelische Kirche nicht die Kraft gefunden, sich von den fürchterlichen Machenschaften der damals Regierenden zu trennen, aber heute glaube ich, auf dem Hintergrund der Erfahrung der Geschichte, eine ausgesprochen positive Rolle in der Gesellschaft DDR spielt, für mich auch ein gestalterischer Faktor ist.

Und die letzte Frage ich glaube [unverständlich] noch einmal… etwas über die Schwierigkeiten, gibt es in konkret in ihrer Arbeit in der Kirche…

Sicher gibt es immer wieder auch Schwierigkeiten. Das hängt zum Teil damit zusammen, das hängt auch zum Teil mit der Geschichte zusammen, mit der Geschichte, die evangelische Kirche oder die Kirchen überhaupt zum Beispiel mit Kommunisten oder umgekehrt gemacht haben. Das ist ja eine oft sehr leidvolle Geschichte gewesen, wenn ich die Kritik, die etwa Karl Marx an der Kirche gehabt hat, ist ja viel weniger eine theoretische Kritik gewesen als eine Kritik an der Kirche des vorherigen Jahrhunderts, die die Not der Armen nicht gesehen hat. Und es ist ja kein Wunder, dass aus diesem Grunde, Kirche, und ich glaub', sagen zu können, in Deutschland, keine Kirche der Arbeiterklasse ist, sondern eine Kirche des Mittelstandes ist, bis heute im Grund geblieben ist. Und von daher gibt es auf dem Hintergrund dieser leidvollen Erfahrung, die man miteinander gemacht hat, eine ganze Reihe Misstrauen. Unsere Gesellschaft ist von ihrer Anlage her…

Auf diesem Hintergrund, dass unser Staat ein Weltanschauungsstaat ist, betrachtet der, das sind jedenfalls die Erfahrungen, die ich immer wieder gemacht habe, all das, was in dieses Muster nicht so ohne Weiteres hineinpasst, mit Misstrauen und von daher gibt es dann auch Schwierigkeiten, etwa, wenn ich an Ausstellungen denke, die in unserer Kirche durchgeführt worden sind, von Künstlern, die etwa im kommunalen Bereich kaum eine Möglichkeit hatten, auszustellen. Da hat's dann immer wieder, ja, Zensur gegeben und vorstellig wurde und sagte, dieses oder jenes Bild, oder diese oder jene Karikatur müsste weg. Oder ich erinnere mich daran, dass wir vor mehreren Jahren hier sogenannten Bluesmessen, Jugendgottesdienste durchgeführt haben, zu denen anfangs hundert und nachher viele tauschend Menschen gekommen sind, Menschen, die sonst mit Kirche nicht allzu viel zu tun hatten, und bei diesen Gottesdiensten sind Themen angesprochen worden, die vor mehreren Jahren noch Tabuthemen gewesen sind, über die man in der Öffentlichkeit nicht gesprochen hat. Und dann sind diese ganzen Gottesdienste mit sehr, sehr großem Misstrauen und vielen Vorbehalten bedacht und beobachtet worden und man hat versucht, auf kirchenleitende Menschen Einfluss zu nehmen, dass diese Gottesdienste nicht mehr stattfinden. Zum Glück hat Kirchenleitung diesem Druck nicht nachgegeben. Das heißt, uns steht ein Freiraum zur Verfügung, der oft größer ist, als unsere Kräfte sind, um ihn auszufüllen. Dass wir aber natürlich in unserer Arbeit immer wieder auch an Grenzen stoßen, über die wir gerne hinausgehen möchten und ja, es ist dann eine Frage des Miteinanderumgehens, dass es uns in diesen Grenzbereichen immer wieder gelingt, die Freiräume ein wenig größer zu machen. Aber auch da in dem Bemühen, die anderen, die Partner, die Regierenden nicht zu überfordern.

Rainer Eppelmann (1943)

Rainer Eppelmann

Rainer Eppelmann wurde am 12. Februar 1943 in Berlin geboren. Eppelmann ist ein deutscher evangelischer Pfarrer, Bürgerrechtler und Politiker (DA, CDU). Nachdem er innerhalb der DDR Bekanntheit als Oppositioneller erlangt hatte, war er 1990 Minister für Abrüstung und Verteidigung in der letzten DDR-Regierung. Von 1990 bis 2005 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit 1998 ist er Vorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Eppelmann wuchs als Sohn eines Zimmermanns im Ostteil der zerstörten, aber noch nicht endgültig geteilten Stadt Berlin auf. Sein Vater war SS-Unterscharführer und Wächter in den Konzentrationslagern Buchenwald und Sachsenhausen. Seine Mutter war zuerst im Bund Deutscher Mädel (BDM) und trat dann als Postbeamtin in die NSDAP ein. Der Vater blieb zeitlebens ein entschiedener Antikommunist.

Er besuchte ein Gymnasium im Westen Berlins und musste mit der 11. Klasse wegen des Mauerbaus den Schulbesuch abbrechen. Wegen Nichtmitgliedschaft in der FDJ war es ihm in der DDR nicht möglich, Abitur zu machen. Deshalb konnte er seinen damaligen Berufswunsch, Architekt zu werden, nicht verwirklichen. Er arbeitete zunächst als Dachdeckergehilfe, bevor er 1962 bis 1965 eine Facharbeiterausbildung als Maurer absolvierte. Eppelmann verweigerte 1966 den Dienst an der Waffe in der Nationalen Volksarmee (NVA) sowie die Ablegung des Fahneneides. Wegen Befehlsverweigerung wurde er daraufhin zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Eppelmann studierte Theologie am Berliner Theologischen Seminar Paulinum und beendete 1974 das Studium mit dem ersten und zweiten Examen. Die Ordination folgte 1975. Von 1974 bis 1979 war er zunächst Hilfsprediger, dann Pfarrer in der Berliner Samariterkirchengemeinde.

In den 1980er Jahren plante das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die Ermordung des oppositionellen Pfarrers. Eppelmann sollte bei einem fingierten Autounfall durch technische Manipulationen an seinem Auto sterben. Beide Anschläge schlugen jedoch fehl. Das MfS verübte keine weiteren Attentate. Für internationale Aufmerksamkeit sorgte es 1988/89, als Rainer Eppelmann in seinen Dienst- und Privaträumen mit Hilfe westlicher Technik Abhörtechnik des MfS aufspürte und dies in westlichen Medien öffentlich gemacht wurde.

Eppelmann engagierte sich in der DDR-Opposition. In den 1980er Jahren kümmerte er sich um unangepasste Jugendliche; aus der ganzen DDR kamen sie zu seinen als legendär geltenden, seit 1979 stattfindenden Bluesmessen in der Ost-Berliner Samaritergemeinde. Zum Teil geheim, teilweise für den „innerkirchlichen Gebrauch“ genehmigt, wurden innerhalb der Oppositionsgruppen der DDR Zeitschriften und Texte, die der Arbeitskreis Information unter Leitung von Thomas Welz und Rainer Eppelmann herausgegeben hatte, verbreitet. Im Januar 1982 riefen er und Robert Havemann im Berliner Appell zur Abrüstung in Ost und West auf.

Er war Gründungs- und Vorstandsmitglied des Demokratischen Aufbruchs (DA). Vor der ersten und auch letzten freien Wahl in der DDR 1990 war Eppelmann als Vertreter der Opposition Mitglied des zentralen Runden Tisches sowie später auch Minister ohne Geschäftsbereich im Kabinett Hans Modrow.

Vom 18. März 1990 bis zu deren Auflösung im Zuge der Deutschen Einheit am 2. Oktober 1990 war er Mitglied der Volkskammer der DDR und Minister für Abrüstung und Verteidigung im Kabinett von Lothar de Maizière. Mit der Fusion des DA mit der CDU im August 1990 wurde er Mitglied der CDU, die im September 1990 mit der CDU der Bundesrepublik Deutschland zur CDU Deutschlands fusionierte.

Von der ersten gesamtdeutschen Wahl am 2. Dezember 1990 an war Eppelmann Mitglied des Deutschen Bundestages und blieb dies bis zur Bundestagswahl 2005, bei der er nicht mehr kandidierte. Vom Bundestag wurde er zum Vorsitzenden der beiden Enquete-Kommissionen zur Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur gewählt.

Seit ihrer Gründung 1998 ist Eppelmann ehrenamtlicher Vorsitzender des Vorstandes der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.