Monika Maron, 25. 9. 1987, Berlin, Germany

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Location Berlin, Germany
Date 25. 9. 1987
Length 10:18

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Ist es für Sie schwierig, frei über das Leben in der DDR in den späten 1980er Jahren zu schreiben? (Deutsche Übersetzung) Gibt es für Sie Schwierigkeiten, in freier Weise über das heutige Leben – also von den späten 80er Jahren in der DDR zu schreiben?

Schwierigkeiten zu schreiben habe ich dabei gar nicht, ich habe Schwierigkeiten, zu veröffentlichen.

Gibt es eine Gruppe junger Schriftsteller in der DDR, die der DDR und der Gesellschaft hier vielleicht kritischer gegenüberstehen als einige ihrer Vorgänger – ich denke an Schriftsteller wie Brecht –, die weniger kritisch waren?
(Deutsche Übersetzung) Gibt es eine Gruppe jüngerer Schriftsteller, die die DDR mit vielleicht mehr kritischen Augen betrachten als Schriftsteller von einer früheren Generation, so wie zum Beispiel Bertolt Brecht?

Also das ganz gewiss. Das – glaube ich nur – gibt es schon dazwischen – also zwischen Brecht und denen, die heute 30 oder 25 sind gibt es auch schon eine Generation von Schriftstellern, die im Laufe der Zeit ihr Verhältnis zur DDR doch ganz kritisch überdacht haben und aus der Haltung der 50er Jahre, die doch noch sehr durch Klassenkampf und Nachkriegszeit bestimmt war(en), in eine distanziertere Beziehung gekommen sind. Also ich denke an Fühmann oder Heiner Müller, auch Christa Wolf.

Sie sagen, es sei schwierig für einen Schriftsteller, hier zu veröffentlichen. Können Sie genauer erklären, was Sie meinen?
(Deutsche Übersetzung) Sie sagten, dass Sie Schwierigkeiten hatten, Ihre Werke zu drucken hier, gedruckt zu bekommen. Können Sie ein bisschen mehr etwas darüber erklären?

Also es ist so – wenn man hier einen Verlag hat, der – also so ist es mir gegangen – mein erstes Buch hatte ich hier in einem DDR-Verlag, das Buch wurde auch ziemlich großzügig durch Stipendien gefördert, obwohl es mein erstes war und es wurde durch diesen Verlag auch angenommen. Danach braucht man aber vom Ministerium für Kultur eine Druckgenehmigung und diese Druckgenehmigung hat mein erster Roman nicht bekommen. Und damit ist auch die Entscheidung des Verlages, mein Buch zu drucken, hinfällig. So und ich habe dann später dieses Buch an den Fischer Verlag nach Frankfurt am Main nach Westdeutschland gegeben und damit ist auch erst mal für die nächsten Bücher das Problem entschieden gewesen. Also die wurden dann erstmal ohnehin nicht gedruckt, weil dann ging es schon gar nicht mehr um die Texte, dann geht es um die Person. Nun aber – zehn Jahre, nachdem mein erstes Buch fertig war – soll es im nächsten Jahr in der DDR erscheinen – und ich hoffe, dann – ändert sich das.

Was sind die heutigen Tabuthemen für Schriftsteller in der DDR?
(Deutsche Übersetzung) Was sind heutzutage die Tabu-Subjekte für einen Schriftsteller heute in der DDR?

Also das ist ja immer sehr schwer – das für alle zu sagen – ich kann das eigentlich für mich sagen, aber der Schriftsteller nimmt die Tabus ja nicht an – hoffe ich jedenfalls auch für die anderen. Die Tabus liegen ja bei den(en), die die Bücher veröffentlichen sollen und das – glaube ich – sind doch in allererster Linie Fragen der innerstaatlichen Demokratie.

Wie wichtig ist die Kirche für Schriftsteller, die die DDR-Regierung kritisieren?
(Deutsche Übersetzung) Wie wichtig ist die Kirche für Schriftsteller, die sich kritisch (gegenüber) der DDR-Regierung und Gesellschaft einstellen?

Also sie ist schon sehr wichtig – die Kirche ist nicht nur für Schriftsteller, auch für Theatergruppen freie oder (unv.) – doch ein kulturelles Zentrum geworden und ich zum Beispiel kann überhaupt nur in Kirchen lesen bisher. Und da sehr viele Leute das wissen, also auch Jugendliche, die nicht durch religiöse Bindungen in die Kirche gehen, gehen aber zu kulturellen Veranstaltungen und gehen auch hin, um sich miteinander dort zu treffen und über Probleme zu reden, über die sie sonst in der Schule oder anderen Jugendgruppen nicht reden können. Und für Schriftsteller – also auch besonders, wenn sie nicht gedruckt werden, ist es eine sehr wichtige Möglichkeit, überhaupt an ihre Leser hier heranzukommen.

Ist es für Sie als Schriftsteller nicht eher ungewöhnlich, Romane in der Kirche zu lesen? Die Kirche hat ihr eigenes Dogma und ihre eigene Ideologie. Macht Ihnen das Sorgen?
(Deutsche Übersetzung) Ist es nicht seltsam für einen Schriftsteller – so wie Sie – Romane in einer Kirche zu lesen? Die Kirche hat ihre Dogmen und ihre Ideologie – die Kirche hat schon ihre eigenen Dogmen und Ideologie. Macht es Ihnen nichts aus?

Ich bin Atheistin und atheistisch erzogen, ich habe die anderen Bindungen an die Kirche nicht und mir kommt es ziemlich normal vor, in der Kirche Romane zu lesen.

Hat die größere Stabilität und der relativ hohe Wohlstand in der DDR das Regime allgemein toleranter, toleranter gegenüber der Literatur gemacht?
(Deutsche Übersetzung) Hat der relativ hohe Lebensstandard in der Republik es beigebracht, dass der Staat sich jetzt als toleranter der Literatur gegenüber zeigt?


Ja, ob es der hohe Lebensstandard ist, weiß ich nicht. Ich glaube, dass der Staat überhaupt seine Ziele verändert hat, während vor 20 Jahren die ideologischen Dogmen sehr viel stärker waren, stehen nun so ökonomische und ganz pragmatische Probleme im Vordergrund, also das sieht man an der Rolle, die die andere Währung, also die westdeutsche Währung oder überhaupt westliche Währung im Land spielt oder dass also die Leute über solche ökonomischen Zugeständnisse auch zufriedengestellt werden. Ich glaube, dass der hohe ideologische Anspruch, so zweifelhaft er ja war und so wenig er uns auch gefallen hat, aber dass er sowieso aufgegeben wurde. Und es wird eigentlich auch immer hohler, was in der Zeitung steht, es glaubt auch keiner mehr. Ich glaube, dass glauben auch nicht die, die es schreiben. Und, dass der Staat in Fragen der Literatur großzügiger wird, liegt, glaub ich, zum Einen an dieser pragmatischen Denkungsart, zum Anderen daran, dass sich die DDR ja auch durch die diplomatische Anerkennung in Vielem öffnen musste – es sind Journalisten im Land, es wird anders über die DDR berichtet. Die Rolle des Westfernsehens in der DDR ist ja sowieso noch eine ganz spezielle Sache. Also die Leute sehen ja ohnehin alles, was sie sehen wollen. Ich glaube, da kommt viel zusammen. So eindeutig würde ich's nicht nur darauf schieben wollen, dass der Lebensstandard höher ist, denn im Vergleich zu Westdeutschland – und das ist das, was die Leute hier als Vergleich nehmen und woran sie das eigene Land messen - ist er ja immer noch nicht sehr glänzend.

Was ist das Wichtigste?

Eigentlich möchte ich darauf nicht antworten, weil ich nicht weiß, was das Einzigste wäre. Ich weiß, dass eine von mehreren wichtigen Sachen, aber die allen Leuten hier das Herz wohl wirklich beschwert, das ist die Unmöglichkeit, das Land zu verlassen. Und damit meine ich gar nicht nur, das, was jetzt halbwegs ermöglicht wird, dass man ab und zu seine Verwandten besuchen kann, sondern, dass man einfach, wie andere Leute aus anderen Ländern auch, die Traumorte, die jeder Mensch in seinem Leben hat, besuchen kann und wiederkommen kann. Dass man auch ein halbes Jahr woanders leben kann und wieder nach Deutschland kommt. Heißt – in die DDR kommt – muss ich sagen. Dass, glaub ich, ist etwas, worum der Staat auf Dauer auch nicht herumkommt. Das wäre wohl das Wichtigste, wenn ich denke, was die meisten Leute vielleicht jetzt als das Wichtigste sagen würden. Ich glaube, es gibt auch noch andere, aber das führt zu weit.


 

Monika Maron (1941)

Monika Maron

Monika Maron wurde am 3. Juni 1941 in Berlin geboren. Ihr Großvater mütterlicherseits war ein zum Baptismus übergetretener polnischer Jude, der 1907 mit seiner Frau, einer ebenfalls zum Baptismus konvertierten polnischen Katholikin, von Lodz nach Berlin umzog, um in der Großstadt als Schneidermeister für die Familie eine gesicherte Existenz aufzubauen.

Marons Mutter Hella, die ihren Vater im August 1942 im Ghetto Belchatow oder im Lager Kulmhof verlor, wuchs im Berliner Arbeiterviertel Neukölln auf. Während des Krieges war sie mit einem Frontsoldaten verlobt, danach mit Karl Maron (1903–1975) verheiratet, der nach 1945 in der Sowjetzone / DDR Karriere machte, u. a. als Innenminister der DDR 1955–1963. 1951 Wohnsitzwechsel von West- nach Ost-Berlin.

Monika Maron engagierte sich als Schülerin aktiv in der FDJ (Freie Deutsche Jugend - einzige staatlich anerkannte und geförderte Jugendorganisation der DDR), später in der SED. Nach dem Abitur (1959) arbeitete sie ein Jahr als Fräserin in einem Industriebetrieb, dann zwei Jahre als Regieassistentin beim Fernsehen. Von 1962 bis 1966 studierte sie Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in Ost-Berlin. Danach war sie wissenschaftliche Aspirantin an der Schauspielschule in Berlin. In den Jahren 1971–76 arbeitete sie als Reporterin, zunächst bei der Frauenzeitschrift „Für Dich“, später bei der „Wochenpost“. Seit 1976 war Monika Maron Freiberufliche Schriftstellerin. 1981 erschien ihr erster Roman „Flugasche“, in dem sie offen die Umweltsünden in der DDR beklagt. Wegen des kritischen Inhalts erschien dieses „erste Umwelt-Buch der DDR“ nicht in der DDR, sondern in Westdeutschland bei S. Fischer. 1982 folgte „Das Mißverständnis“, woraus „Ada und Evald“ 1983 als Theaterstück in Wuppertal uraufgeführt wurde. Im 1986 veröffentlichten Roman „Die Überläuferin“ beschäftigt sie sich mit einer Aussteigerin.

Nach zunehmender politischer Entfremdung verließ sie 1988 zusammen mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Sohn mit einem Drei-Jahres-Visum die DDR. Sie lebte bis 1992 in Hamburg und zog dann wieder nach Berlin.

Nach der deutschen Wiedervereinigung nimmt sie vielfach öffentlich Stellung zum deutsch-deutschen Verhältnis. Einige dieser Artikel und Essays veröffentlicht sie im Band "Nach Maßgabe meiner Begreifungskraft".

1995 konnte Monika Maron den Vorwurf der Stasi-Vergangenheit entkräften. Ihre Mitarbeit beschränkt sich eigenen Angaben zufolge auf zwei Berichte über ihre Eindrücke während eines West-Berlin-Aufenthaltes. Die Berichte erwiesen sich als DDR-kritisch; weitere Hinweise für eine Zusammenarbeit mit der Stasi gibt es nicht.

Sie erhält Gastdozenturen in Zürich und Frankfurt am Main. 2009 ist sie Mainzer Stadtschreiberin. Im selben Jahr erhält sie den Deutschen Nationalpreis.

Im Jahr 2010 erscheint der Band „Zwei Brüder. Gedanken zur Einheit 1989 bis 2009“, der Marons Essays und Reden zur deutschen Wiedervereinigung und deren Folgen versammelt.

Seit 2010 äußert sie sich wiederholt islamkritisch in überregionalen Zeitungen. 2018 veröffentlichte Monika Maron den Roman „Munin oder Chaos im Kopf“, in dem eine fiktive Autorin Parallelen zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und dem Deutschland der Gegenwart unter dem Einfluss der Flüchtlingskrise entdeckt.

In jüngster Zeit beklagt sie wiederholt fehlenden öffentlichen Diskurs und Diffamierung abweichender Meinungen in Medien, Schulen und Universitäten.